HELL IST DIE NACHT

An die Gegen­wart gerichtet

80 Jahre nach Kriegsende gibt die musiktheatrale Installation »Hell ist die Nacht« Raum zum Nachdenken und Nach­empfinden. Ein Interview mit der Dramaturgin Tamara Yasmin Quick über die Stückidee, Würzburger Erinnerung und einen besonderen Aufführungsort.

Am Abend des 16. März 1945 erlebt Würzburg die verheerende Katastrophe: Nur zwanzig Minuten brauchen Tausende Bomben für ihr vernichtendes Werk. Ein Flammen­meer frisst sich durch die Stadt. Es ist ein tiefer Einschnitt in die Geschichte Würzburgs, bis heute sind die Narben spürbar. Zwei junge Theatermacher:innen haben sich für das Mozartfest mit dem Trauma der Stadt auseinander­gesetzt, nachdem sie Würzburg als Stipendiat:innen des MozartLabors kennengelernt hatten. Mit der musiktheatralen Installation »Hell ist die Nacht« bringen sie erlebte Geschichte und zutiefst Menschliches ins gemeinsame Spannungsfeld. Das Mozartfest nimmt die emotional packende Produktion im 80. Jahr nach dem Würzburger Bombardement und dem Ende des Zweiten Weltkriegs erneut ins Programm. Ilona Schneider hat mit der Dramaturgin Tamara Yasmin Quick gesprochen, die »Hell ist die Nacht« gemeinsam mit dem Regisseur Max Koch entwickelt hat.

Vor einem Jahr hatte »Hell ist die Nacht« Premiere. Wenn du zurückblickst: Gibt es ein Momentum, das dir besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Tamara Yasmin Quick: Ja, das gibt es. Es ist ein sehr bewegendes. Mit der Generalprobe und allen darauffolgenden Vorstellungen gab es insgesamt fünf öffentliche Durchläufe der Produktion, und bei fast allen hatten wir unseren wichtigsten Zeitzeugen, Rudolf Hepf, dabei. Es war für mich äußerst anrührend, wie sich seine Reaktion auf seine Geschichte, die er im Vorfeld so vertrauensvoll mit uns und anschließend so bereitwillig auch mit der Öffentlichkeit geteilt hat, über die Vorstellungen hinweg entwickelt hat und wie man bei ihm eine Reflexion und einen Verarbeitungsprozess feststellen konnte. Er hat mir im Nachhinein bestätigt, dass diese mehrfache Begegnung mit den eigenen Erlebnissen aus einer Außenperspektive für ihn ein Prozess des Abschließens war. Man darf nicht vergessen: Nachdem er sein ganzes Leben danach gesucht hat, hat er den Ort, an dem er die Bombennacht von 1945 überlebt hat, 2023 überhaupt erst wiederentdeckt. Durch einen Zufall! Nach mehr als 75 Jahren ist er zum ersten Mal wieder an den Ort dieser Schreckensnacht zurückgekehrt und hatte tatsächlich da erst die Gelegenheit, diese Erlebnisse noch mal zu reflektieren und mit dem Verarbeitungsprozess zu beginnen.

Du hast dich während der Recherche intensiv mit Geschichte und Gegenwart Würzburgs beschäftigt. Was ist dein Eindruck: Ist der 16. März 1945, abgesehen von der massiven Zerstörung der Stadt, auch 80 Jahre später immer noch prägend für Würzburg und für die Würzburger:innen?

Ich habe in Würzburg ganz stark das Gefühl. Allein schon, weil der Jahrestag der Zerstörung jedes Jahr mit einem Gedenken in der ganzen Stadt einhergeht: Wenn die Kirchenglocken läuten, wird das Geschehene immer wieder jedem vergegenwärtigt. In diesem Maße kenne ich das tatsächlich aus anderen Städten, die Ähnliches durchlebt haben, nicht. Für mich ist die Erinnerungskultur in Würzburg aber auch deshalb besonders, weil hier multidimensionaler reflektiert wird. Das alljährliche Innehalten, das Erinnern an die vielen Schicksale: Es gehört einfach zum Stadtjahr, zur Stadtgeschichte dazu und lebt dadurch auch in den Köpfen der jungen Würzburger:innen fort. So wird ein Erinnerungsschatz weitergetragen. Sicherlich auch in dem Wunsch, zu mahnen, zu warnen und zu gedenken. Aber immer verbunden mit einem Reflexionsmoment für die Gegenwart: Wo befinden wir uns gerade? Wie plötzlich kann von hundert auf null einfach alles in Frage gestellt sein? Diese Demut und dieses Gedenken an die eigene Menschlichkeit spüre ich in Würzburg ganz stark. Wenn hier am 16. März die Glocken läuten, schwingt darin so viel mehr mit als das bloße Mitleid mit den Tausenden Opfern damals. Es ist an die Gegenwart gerichtete Mahnung und Warnung.

Ist das auch in Eure Konzeption eingeflossen?

Ja, sogar sehr zentral! Es war uns ein großes Anliegen zu zeigen, dass das größte Dilemma aller Krisen deren Komplexität ist. Und damit ganz eng einhergehend der Populismus, der suggeriert, es gäbe immer ein Schwarz und Weiß. Es gibt aber niemals die eine Lösung. Deshalb war es uns sehr wichtig, kein verklärtes Bild zu zeichnen und keine Opferkultur zu bedienen. Es ging uns vielmehr darum, Universalität und Globalität zu zeichnen. Ein multiperspektivisches, vieldeutiges Bild von diesem katastrophalen Moment, das entsteht, sobald sich Menschen bekriegen.

Im Luftschutzkeller der Erlöserschwestern haben nicht nur Zivilisten, sondern auch viele deutsche Soldaten das Würzburger Bombardement überlebt. Auch ihr stellt in »Hell ist die Nacht« bewusst einen jungen ­Soldaten ins Zentrum, der Opfer, aber zugleich natürlich auch Täter sein kann.

Da sprichst du einen unserer Kerngedanken an. In einer Figur wie ebendiesem jungen Soldaten kumuliert natürlich dieses Gegensatzpaar oder scheinbare Gegensatzpaar von Schuld und Vergebung auf eine besonders drastische Art und Weise. Und so ist letztendlich unser Weg zu diesem Stück vonstattengegangen: Ich bin selbst aus Franken, und für mich war immer präsent, dass Würzburg durch die Stationierung der amerikanischen Streitkräfte eine durch Militär geprägte Stadt war. Als mir Max Koch erzählte, dass er fürs Mozartfest ein Stück zum Thema Schuld und Vergebung entwickeln und es mit Würzburg zu tun haben solle, war mir sofort klar, dass das Militär und der Militärdienst die Verbindung schaffen können. Einfach durch die starke Präsenz in der Würzburger Stadtgeschichte. In der Entwicklung von der Besatzung hin zu einem interkulturellen Zusammenleben steckt die Frage nach Schuld und Vergebung, stecken Schuld- und Freundschaftsfrage, Individualität der Geschehnisse, aber auch Idealismus.

Im Luftschutzkeller der Erlöserschwestern haben nicht nur Zivilisten, sondern auch viele deutsche Soldaten das Würzburger Bombardement überlebt. Auch ihr stellt in »Hell ist die Nacht« bewusst einen jungen ­Soldaten ins Zentrum, der Opfer, aber zugleich natürlich auch Täter sein kann.

Da sprichst du einen unserer Kerngedanken an. In einer Figur wie ebendiesem jungen Soldaten kumuliert natürlich dieses Gegensatzpaar oder scheinbare Gegensatzpaar von Schuld und Vergebung auf eine besonders drastische Art und Weise. Und so ist letztendlich unser Weg zu diesem Stück vonstattengegangen: Ich bin selbst aus Franken, und für mich war immer präsent, dass Würzburg durch die Stationierung der amerikanischen Streitkräfte eine durch Militär geprägte Stadt war. Als mir Max Koch erzählte, dass er fürs Mozartfest ein Stück zum Thema Schuld und Vergebung entwickeln und es mit Würzburg zu tun haben solle, war mir sofort klar, dass das Militär und der Militärdienst die Verbindung schaffen können. Einfach durch die starke Präsenz in der Würzburger Stadtgeschichte. In der Entwicklung von der Besatzung hin zu einem interkulturellen Zusammenleben steckt die Frage nach Schuld und Vergebung, stecken Schuld- und Freundschaftsfrage, Individualität der Geschehnisse, aber auch Idealismus.

War die Figur des Soldaten für euch auch der Link zum Ort, an dem ihr »Hell ist die Nacht« schließlich realisiert habt – dem Mutterhausareal der Kongregation der Schwestern des Erlösers?

Im sogenannten Mutterhausbrief zum 16. März 1945, aus dem wir im Stück zitieren, ist auch von den vielen Soldaten die Rede, die von den Erlöserschwestern gepflegt wurden. Das war ein wichtiger Anknüpfungspunkt. Aber zugleich manifestiert sich im Kriegsgeschehen diese unglaubliche Gewalt, die alles so irrational, ja geradezu psychopathisch macht. Diese ganzen Gedanken haben wir versucht, in die Figur des jungen Soldaten zu legen. Wir haben hier einerseits eine Privatperson, die eigentlich kein Interesse an diesem Krieg hat, der überhaupt nicht ihr eigener ist. Andererseits ist da aber dieser Stolz und das Pflichtgefühl, für das Vaterland zu kämpfen. Und dann kommt dieses menschliche Moment hinzu, was es eigentlich mit der eigenen Psyche macht, wenn man plötzlich sehenden Auges in den eigenen Tod gehen muss. Es stellen sich Fragen wie: Lässt man jetzt Angehörige im Stich? Für was? Was passiert umgekehrt, wenn man sich dem Dienst entzieht? Macht man sich dann mitschuldig am Untergang des Vaterlandes? Ich spreche jetzt ganz plakativ, aber all diese Gedanken haben uns dazu gebracht, den jungen Soldaten auf die Bühne zu stellen, dessen zeitliche Verortung wir durch sein Kostüm aber sehr bewusst offengehalten haben. Es ist nicht zwangsläufig ein Soldat im Zweiten Weltkrieg. Es kann jeder sein.

Das Mutterhaus der Erlöserschwestern ist mitten in der Würzburger Innenstadt und war trotzdem bis vor Kurzem ein verborgener Ort. Jetzt öffnet die Kongregation ihr Areal und macht es für Würzburg und seine Besucher:innen zugänglich. Wie nutzt ihr dieses städtische Symbol?

Das Ineinandergreifen von Form und Inhalt ist in »Hell ist die Nacht« von großer Bedeutung. Da ist dieser Ort, der so lange hinter Mauern verborgen war und deshalb, so ist zumindest mein Eindruck, in der Würzburger Bevölkerung die Neugierde darauf weckt, was sich hier jetzt tut. Das war uns auf künstlerischer Ebene sehr zuträglich, weil wir eine Form der musiktheatralen Installation gewählt haben, bei der man etwas erkundet. Dass dieser Ort so lange im Verborgenen lag, hat uns dabei natürlich mit inspiriert: Wir knüpfen an die natürliche Neugier des Menschen an, etwas zu entdecken, was vielleicht noch nicht jede und jeder kennt.

In »Hell ist die Nacht« spielen Erinnerungen eine zentrale Rolle. Was kann Musik deiner Meinung nach als wortlose Kunst in Erinnerungsprozessen leisten?

Ich glaube, dass Musik oder Kunst ganz allgemein wahnsinnig viel erzählen kann, ohne zu konkret werden zu müssen. Sie kann sehr abstrakt sein und wird trotzdem niemals nicht erzählt. Das ist natürlich besonders dann ein großer Vorteil, wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammentreffen, die vielleicht sogar noch verschiedene Sprachen sprechen. Insbesondere im Musiktheater und noch stärker in einer partizipativen Performance werden alle etwas mitnehmen, auch wenn vielleicht nicht jeder Zuschauer und jede Zuschauerin alles versteht. Irgendwas vermittelt sich immer. Das szenische Spiel ist auf gestisch-pantomimischer Ebene universell verständlich. Und Musik natürlich auch, denn sie spricht Menschen auf emotionaler Ebene an. Das Schöne an Kunst ist doch: Es gibt kein Richtig oder Falsch.

Was würdest du dir für »Hell ist die Nacht« wünschen?

Ich würde mir wünschen, dass wir ein noch jüngeres Publikum anlocken können. Weil sich eben über Kunst sehr viel erzählen lässt – auf eine ganz subtile, buchstäblich verkörperte Art und Weise, so wie man es über Lehrbücher gar nicht erzählen kann. Und was dadurch auch mehr im Gedächtnis bleibt. Und natürlich wünscht man sich immer ein möglichst diverses Publikum. Wir wollen keine Kunst für ein »Hochkulturpublikum« machen oder für ein Publikum, das sich als solches bezeichnet. Wir wollen etwas bieten, das alle Menschen angeht. Ich wünsche mir, dass sich viele eingeladen fühlen, dieses Stück zu besuchen, und sich nicht von einem Label wie »klassisches Konzertformat« abschrecken lassen. Es ist eine herzliche Einladung an alle.

SO 08.06 | MO 09.06.

18 und 20.30 Uhr | Mutterhaus der Schwestern des Erlösers

Hell ist die Nacht

Wandlungen durch Zeiten, Räume, Erinnerungen. Musiktheatrale Installation mit Werken von Wolfgang Amadé Mozart, Gustav Mahler, Robert Schumann, Charles Ives, Gloria Coats u. a. sowie Lyrik und Originalberichte aus und in Kriegszeiten

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