EINE GROSSE STADTMUSIK
In Würzburg spielt die Musik
Von Annkatrin Müller

Zwei Gitarren, eine Trommel, ein Shaker-Ei, dazu Gesang: Aus einem Hinterhof in der Leistenstraße unterhalb des Käppele klingen Rock-Klassiker wie »Knocking on Heaven’s Door« oder »Summer of 69« – unplugged, mit vollem Gesang. Neben einem Campervan mit Lichterkette im Kofferraum hat die Wohngemeinschaft von Kathi, Alex, Maxi, Kai, Hannes und Asya eine spontane Jamsession eingelegt. Es wird gelacht, improvisiert, sich gegenseitig zugerufen, welcher Akkord als Nächstes kommt. »In den nächsten zwei Monaten üben wir noch ein paar Songs, dann haben wir bis Mai ein kleines Set zusammen«, sagt Gitarrist Alex. Im Rahmen von »Eine große Stadtmusik« will die WG am 29. Mai (Christi Himmelfahrt) ein Konzert in ihrem Hinterhof geben. Mit dem neuen Format bringt das Mozartfest Würzburg dieses Jahr die ganze Stadt zum Klingen: Alle Würzburger:innen sind einen Abend lang gefragt, ihre Türen zu öffnen und kleine Hauskonzerte für alle zu geben, die spontan vorbeikommen. Flaggen vor den Häusern zeigen dann, wo man sich als Publikum zum Konzert einladen darf. Ein Flyer und die Mozartfest-Website geben Orientierung, was wo zu hören ist. Kai aus der WG gefällt besonders, dass man kein Profi sein muss, um bei diesem Format mitzuwirken. Als Rockfan hat er bereits im Kindesalter angefangen Gitarre zu spielen. Während er sich daran erinnert, sitzen alle am WG-Küchentisch, dessen Platz gerade so für die sechs Bewohner:innen reicht. Darauf: Nüsse, Salzstangen und selbstgebackener veganer Kuchen. Ein Wohnzimmer gibt es nicht, die Küche ist der zentrale Treffpunkt, wo man abends gemeinsam isst und oft noch lange beisammensitzt und erzählt. Am Kühlschrank hängen zahlreiche Postkarten von ehemaligen WG-Mitgliedern, adressiert an »Die Wohlfühl-WG«. Ab und zu werden Instrumente ausgepackt und Musik gemacht. Kathi spielt seit ihrem neunten Lebensjahr Querflöte, aber mittlerweile singt sie lieber. Gemeinsam mit Maxi, der Schlagzeug und Gitarre beherrscht, hat sie schon mehrmals Straßenmusik gemacht und während der Corona-Pandemie ein Balkonkonzert gegeben. Das war für Kathi eine besondere Erfahrung: »Alle haben sich so gefreut. Sogar Autofahrer:innen sind teilweise stehen geblieben und haben kurz zugehört.« Diese Freude weiterzugeben, hat sie auch motiviert, sich bei der »Großen Stadtmusik« anzumelden und im Hinterhof ein kleines Konzert mit Cover-Songs zu planen.

Auf der anderen Mainseite, im Würzburger Frauenland, lebt Helga Zilcher. Seit über dreißig Jahren wohnt sie in ihrer Wohnung im obersten Stock eines Mehrparteienhauses. Vom Balkon, der fast um die gesamte Wohnung herumführt, kann sie auf die Festung schauen. Die große Terrasse lädt mit Pflanzen und Balkonmöbeln zum Verweilen ein. »Mein kleines Paradies«, nennt Zilcher ihr Domizil. Man merkt der Wohnung an, mit wie viel Liebe sie eingerichtet wurde. Unzählige Gemälde, Zeichnungen und Kunstgegenstände zeugen davon, dass Zilcher künstlerisch tätig ist. Sie malt, zeichnet, modelliert, schafft Skulpturen. Die Wohnung strahlt Wärme und Eleganz aus, wie Zilcher selbst: eine zierliche Dame, aber voller Energie, als sie durch ihr Wohn- und Arbeitszimmer führt. Der rote Sessel neben dem Flügel ist Helga Zilchers Lieblingsplatz. Auf dem Instrument steht eine Büste ihres Vaters Hermann Zilcher – des Gründers des Mozartfestes. Daneben ruht eine bronzene Nachbildung seiner Hand beim Klavierspielen. Das musikalische Erbe ihres Vaters hat für Helga Zilcher noch immer große Bedeutung: So setzt sie sich etwa als Schriftführerin der Hermann-Zilcher-Gesellschaft für die Pflege des Werkes des Komponisten, Dirigenten und Pianisten ein – und freut sich deshalb auch über das neue Mozartfest-Format: »Das ist ganz im Sinne meines Vaters, dessen anliegen es immer war, vor allem bei der Jugend Neugier auf und Begeisterung für Musik zu wecken.«. Seit ihrem fünften Lebensjahr spielt auch Helga Zilcher Klavier. Mozart schaute ihr damals von einem Gemälde aus beim Üben kritisch auf die Finger. Heute hängt das Bildnis über ihrem Sofa. Für die großen Werke der Klavierliteratur reiche zwar die Kraft in ihren Händen nicht mehr, sagt Helga Zilcher. Doch ab und zu setzt sie sich noch immer gerne an den Flügel und spielt Mozart, Haydn oder kleine Stücke von Bach.

Zur »Großen Stadtmusik« öffnet auch Helga Zilcher gerne ihre Wohnung. Nur selbst vor Publikum spielen möchte sie nicht mehr. Das übernimmt bei ihr Hanni Liang, die im diesjährigen Mozartfest den M PopUp kuratiert und außerdem gemeinsam mit Manfred Trojahn dessen Melodram Verpasste Gelegenheiten aufführt. Mit drei halbstündigen Konzerten wird die Pianistin am Abend der Stadtmusik in Helga Zilchers Wohnzimmer zu erleben sein. Von der Idee der Aktion war Zilcher direkt begeistert, gerade weil sie dem Mozartfest durch ihre eigene Lebensgeschichte persönlich so eng verbunden ist. Neben der Musik ist es vor allem der Aspekt der Begegnung, der sowohl Helga Zilcher als auch die »Wohlfühl-WG« inspiriert, ihre Türen zu öffnen. Zilcher hatte schon einmal für ein Literaturformat ihr Wohnzimmer zur Verfügung gestellt und war begeistert, welch unterschiedliche Menschen zusammenkamen. Damals saß man noch lange zusammen und unterhielt sich so angeregt, dass die Zeit völlig in Vergessenheit geriet. Auch Katie aus der WG in der Leistenstraße findet es spannend, durch das Format Menschen kennenzulernen: »In der Stadt ist es schon eher anonym. Aber so erfährt man ein bisschen was über die Leute!« Etwas wehmütig ist Helga Zilcher, dass sie es wegen ihres eigenen Hauskonzerts an dem Abend nicht schafft, auch andere Haushalte zu besuchen: »Ich würde mir ein Konzert in so einer WG auch gerne mal anschauen!« Aber wenn der Auftakt von »Eine große Stadtmusik« gelingt, sollte es dafür in den nächsten Jahren noch genug Gelegenheit geben.
