ARTISTES ÉTOILES
»Wir können bei jedem Konzert etwas anderes riskieren«
Von Christoph Vratz

Würzburg und dem Mozartfest-Publikum sind sie seit Jahren gut bekannt. Der Pianist William Youn erinnert sich sogar, dass das Mozartfest das erste große Festival gewesen war, zu dem er als junger Pianist eine Einladung bekommen hatte. Jetzt begeht er hier seine erste Festival-Residenz. Auch der Bratscher Nils Mönkemeyer war bereits etliche Male zu Gast in Würzburg. Erst im vergangenen Jahr nahm er im Format »Meisterschüler – Meister« Platz auf einem Mozartfest-Podium und ließ im gemeinsamen Konzert herausragende Nachwuchsinterpret:innen an seinem reichen Erfahrungsschatz teilhaben. Beide Solisten von internationalem Rang, verbindet Youn und Mönkemeyer eine enge künstlerische Partnerschaft, die auf tiefem Vertrauen gegründet ist: »Uns verbindet der Blick kurz vor dem Auftritt. Wir wissen sofort voneinander, was gerade ist und wie es sein wird.« Im Freundschaftsjahr des Mozartfestes geben Mönkemeyer und Youn in insgesamt elf Orchester- und Kammerkonzerten sowie als Dozenten des MozartLabors Einblick in ihre facettenreiche künstlerische Arbeit.
»Sensibel, empfindsam, neugierig« – William Youn
Immer auf der Suche: Nach Heimat, nach Momenten der Einsamkeit, nach dem Spiel von Licht und Schatten. Immer auf der Suche, im Leben und in der Musik. William Youn ist ein nachdenklicher Mensch. Er überlegt genau, was er sagt und wie er es sagt. Denn eines ist er sicher nicht: ein Draufgänger, schon gar nicht auf dem Konzertpodium. »Ich brauche einen Moment der Ruhe, bevor ich anfange zu spielen, einen Moment der Wahrnehmung.« Es ist rund zehn Jahre her, seit William Youn sich mit einem Zyklus sämtlicher Klaviersonaten von Mozart ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gespielt hat. »Verliebt« sei er in diese Musik, gesteht er damals, und an diesem Zustand hat sich wenig geändert. Das Besondere an Mozart? In einem Interview mit dem Magazin Pizzicato hat Youn es einmal so formuliert: »Mozarts Musik ist voll von all den ›menschelnden‹ Charakteren unserer Welt, seine Musik ist zutiefst human. Und die Gefühle! Seine Musik hat die größte Palette von Gefühlen. Für viele ist Mozart ›elegant‹ oder ›lieblich‹, für mich ist es die gigantische Bandbreite zwischen höchster Dramatik und dem zerbrechlichen Glück, die seine Musik so faszinierend macht.«
Begonnen hat William Youn seine Laufbahn, wie die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen, am modernen Konzertflügel. Doch der Bratschist Nils Mönkemeyer ermutigte ihn immer wieder, sich auch auf dem Hammerklavier auszutesten und trotz engerer dynamischer Grenzen das Mehr an Farben, Details und Nuancen des Fortepianos einzusetzen. Inzwischen konzertiert Youn gleichermaßen auf historischen und modernen Instrumenten. Er ist in gewisser Weise ein Universalist, getrieben von der Neugierde, Dinge auszuprobieren und sie zu hinterfragen. »Sensibel, empfindsam, ungeduldig und neugierig«, so hat er sich selbst einmal bezeichnet. Geboren wird William Youn 1982 in Südkorea. Bereits mit 13 Jahren zieht er zunächst nach Boston, um dort ein Musikinternat zu besuchen, dann geht es für ihn nach Deutschland und er nimmt Unterricht bei der Klavierlehrer-Legende Karl-Heinz Kämmerling an der Musikhochschule in Hannover. Aber auch Dmitri Bashkirov, Andreas Staier und Menahem Pressler werden seine Mentoren. Youn gewinnt Preise bei namhaften Wettbewerben – etwa in Cleveland, beim Busoni Wettbewerb Bozen und beim Concours Reine Elisabeth Brüssel. Doch ein Wettkämpfer im sportiven Sinne ist er nicht. Auf die Frage, welche natürliche Fähigkeit er gern besäße, antwortete er einmal: »Ein dickes Fell.«
»Die Musik ist die reinste Form menschlicher Emotionen, noch vor dem verbalen Austausch. Man ist viel offener, wenn man musiziert.«
Youn ist bis heute kein Künstler, der etwas übers Knie bricht. Für seine Devise verwendet er einen Vergleich aus der Natur: »Man pflanzt den Samen in die Erde, pflegt und gießt dann die Pflanze jeden Tag, aber man kann ihre Entwicklung nicht forcieren.« Vielleicht besitzt er deshalb auch eine besondere Affinität zur Musik von Franz Schubert, deren oft improvisatorischen Charakter Youn besonders hervorhebt. »Mitunter sind die Ideen von Schubert wie Träume. Das muss man im wahrsten Sinne des Wortes erleben, sogar richtig durchleben.« Momente des Entrückten, der Verletzlichkeit, Augenblicke stiller Sehnsucht und jäher Auflehnung findet man in dieser Musik – und so überträgt Youn sie auch aufs Klavier. Es verwundert nicht, dass dieser empfindsam interpretierende Pianist eine weitere Leidenschaft im Sammeln von Porzellankunst gefunden hat: »Ich liebe schöne Sachen«, sagt er und kann sich begeistern für die Eleganz, Verspieltheit, Individualität, den Perfektionismus und die Kostbarkeit alten Porzellans aus bedeutenden Manufakturen. Dass der langjährige Wahl-Münchner Youn in diesem Jahr beim Würzburger Mozartfest nicht als alleiniger Artiste étoile auftritt, sondern an der Seite von Nils Mönkemeyer, hat gute Gründe. Beide sind seit Jahren miteinander befreundet. Zusammen haben sie ab 2019 für einige Jahre die InselKonzerte Herrenchiemsee geleitet, sie haben gemeinsame Aufnahme-Projekte realisiert und unzählige Duo- und andere Kammermusik-Konzerte bestritten. Erstmals zusammen aufgetreten sind sie im Jahr 2010. Damals auf dem Programm: eine der beiden späten Sonaten von Johannes Brahms. »Ich kann mich noch gut erinnern, dass wir sehr unterschiedliche Meinungen zu diesem Stück hatten«, erinnert sich Youn. »Wir haben dann sehr viel miteinander gesprochen und sind dadurch zusammengewachsen.« Fünf Jahre später, 2015, präsentieren beide ihr erstes gemeinsames Album, wieder mit Musik von Brahms. Das Aufeinander-Hören haben sie mittlerweile gelernt, das Miteinander-Sprechen auch. Daher agieren sie auf der Bühne heute mit mehr Risiko: »Jetzt spielen wir so viele Jahre zusammen, sodass wir bei jedem Konzert etwas anderes riskieren können«, sagt William Youn. »Es gibt eine hundertprozentige Sicherheit im Reagieren aufeinander.« Und Nils Mönkemeyer ergänzt: »Vertrauen ist wichtig.«
»Ich liebe es, Freunde einzuladen« – Nils Mönkemeyer
Die Nachricht vom Dezember 2024 kam ziemlich überraschend: Der Bratscher Nils Mönkemeyer »wird zum Hochschullehrer des Jahres« gekürt. Er ist der erste ausübende Musiker, der mit dieser Auszeichnung geehrt wird. Bis vor Kurzem unterrichtete Mönkemeyer Bratsche an der Hochschule für Musik und Theater in München, war zuvor bereits als Professor in Dresden tätig und ist mit Beginn des Sommersemesters 2025 dem Ruf an die Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin gefolgt, wo er die Nachfolge von Tabea Zimmermann antritt. »Als Professor vereint er Empathie und Respekt für seine Studierenden mit intellektueller Schärfe und Strenge«, urteilt die Süddeutsche Zeitung. Doch die jüngste Ehrung berücksichtigt auch Mönkemeyers »vorbildliches soziales Engagement«. Bereits 2016 hat der Bratscher mit der Caritas Bonn ein Festival mit dem Titel »Klassik für Alle« ins Leben gerufen. Der Name ist Programm: Neben Konzertbesuchen werden zahlreiche Begegnungen abseits des Konzertgeschehens organisiert, um wirklich allen Mitgliedern unserer Gesellschaft einen Zugang zur Musik zu eröffnen, Flüchtlingen, Wohnungslosen, Suchtgefährdeten oder schlichtweg armen Menschen. Eine Idee, die viel aussagt über den Menschen Nils Mönkemeyer. Natürlich ist er nicht allein für seine herausragenden Verdienste in der Hochschullehre oder für sein überzeugtes Engagement in Sozial-Projekten hochgeschätzt: Nils Mönkemeyer zählt seit Jahren, ja inzwischen Jahrzehnten zu den führenden Bratschisten der Welt. Aber warum die Bratsche? »Ich weiß nicht so genau, ob man selber eigentlich das Instrument wählt oder das Instrument einen wählt«, sagt Mönkemeyer und umschreibt den Klang der Bratsche als »ein bisschen dunkel und manchmal auch träumerisch«, die Bratsche sei eben »nie direkt und eigentlich sehr freundlich«. So wie er selbst?
»Selbst wenn Mozart fröhlich zu sein scheint, schwingt immer eine andere Ebene mit. Gerade weil seine Musik so durchlässig ist, gibt es unendlich viele spürbare Nuancen zwischen Fröhlichkeit und tiefer Trauer. Deshalb spiele ich Mozart so gern.«
Geboren als Sohn eines Gitarristen und einer bildenden Künstlerin im westfälisch-ländlichen Holzwickede am östlichen Rand des Ruhrgebiets, ist Mönkemeyer eher spät zur Bratsche gekommen. »Als kleiner Junge habe ich Geige gehört«, mehr noch: »Barock-Geige«. Er gesteht, regelrecht verliebt gewesen zu sein in Nikolaus Harnoncourts Aufnahme von Bachs Brandenburgischen Konzerten: »Ich dachte: Das ist das Schönste, was ich je gehört habe, und ich werde wohl Geige spielen.« Als Zwölfjähriger spielt er Harnoncourts Frau Alice vor und sie urteilt, Nils solle lieber auf einer normalen Geige statt auf einer Barock-Geige üben. Doch es kommt ganz anders. Während seiner Zeit im Bundesjugendorchester nimmt er erstmals eine Bratsche in die Hand und merkt: »Deswegen also mochte ich die tiefen Saiten auf der Geige so sehr und habe nie die hohen Stellen geübt.« Und: »Ich hatte vorher noch nie so einen guten Klang gehabt.« Der Entschluss ist gefasst: Es soll die Bratsche sein, die »Alt-Sängerin unter den Streichinstrumenten«. Mönkemeyer studiert in Hannover, später in München und am Mozarteum in Salzburg. In jungen Jahren hat er ein klares Vorbild: »Tabea Zimmermann, von ihr hatte ich alle Aufnahmen und an ihr habe ich mich eigentlich orientiert.« Auch zu Kim Kashkashian und zu Yuri Bashmet schaut er auf. Letzterer dirigiert auch, als Mönkemeyer sein Debüt in Moskau gibt. »Bashmet hatte eine Art Mentor-Funktion für mich. Ich glaube, er hat gesehen, wie ich spielen würde, bevor ich es selber wusste.« Mit dem Pianisten William Youn teilt Nils Mönkemeyer seit anderthalb Jahrzehnten Zeit und Erfolge. Oft stehen sie gemeinsam auf einer Bühne oder vor dem Mikrophon, immer mit dem Ziel, einen »gemeinsamen Raum des Empfindens« für Menschen zu schaffen, wie Mönkemeyer es bei der Programmvorstellung des Mozartfestes 2025 formuliert. Ohnehin ist Nils Mönkemeyer ein sehr kommunikativer Mensch: »Ich liebe es, Freunde einzuladen und für sie zu kochen oder zu backen.« Außerdem gesteht er, ein leidenschaftlicher Anhänger von Antiquitäten zu sein: »Ich sammle obsessiv altes oder auch neueres Silber.« Doch müsse er dabei oft die Vernunft walten lassen. Fast wie in der Musik …